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Abschaffung der Schulbezirksgrenzen

20. Dezember 2005

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Herr Oberbürgermeister,

bevor ich zum eigentlichen Thema dieses Tagesordnungspunktes komme, erlauben Sie mir zuvor eine Anmerkung zur aktuellen Schulpolitik im Land Nordrhein-Westfalen. Was in der letzten Woche im schwarz-gelben Landeskabinett an bildungspolitischen Eckpunkten für das Jahr 2006 beschlossen wurde, hat nun rein gar nichts mit durchdachter und stringenter Politik zu tun. Ich vermisse insbesondere die große Leitlinie. Vielmehr hat man das Gefühl, Schule sei ein Experimentierfeld und die Kinder die notwendigen Probanden. Da werden alte und eigentlich längst vergessene konservative Ladenhüter á la Kopfnoten oder die Aufhebung der Drittelparität in den Schulkonferenzen wieder aus der Versenkung geholt, wo sie vollkommen zu Recht ihr Dasein fristeten. Auf der anderen Seite besticht dieses Programm durch eine Reihe von Ungereimtheiten. So sei nur am Rande auf die ungleiche Gewichtung des Elternwillens verwiesen. Während in der Frage der Auflösung der Grundschulbezirke der Wille der Eltern das entscheidende Kriterium sein soll, wird im gleichen Beschluss der Einfluss der Eltern auf die Wahl der Schulform beim Übergang von der Primarstufe auf die weiterführende Schule beschnitten mit dem Hinweis, man müsse die Kinder vor zum Teil zu ehrgeizigen Eltern beschützen. Fällt Ihnen die Paradoxie auf, die hinter dieser Argumentation steckt? Mich erinnert dieses Vorgehen stark an das bekannte Motto aus Pippi Langstrumpf: Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt.

Nun aber zur eigentlichen Diskussion:

Für uns Grüne als Initiatoren dieser heutigen Debatte war zwar von Anfang an klar, dass einer Entscheidung zur Auflösung der Grundschulbezirke möglichst früh eine entsprechende Antwort des Rates folgen muss. Dass aber dieser Tagesordnungspunkt eine derartige Aktualität erfahren würde, haben selbst wir nicht vorausgesehen. Für mich ist klar: einer eindeutigen Beschlussfassung des Landeskabinetts muss eine ebenso eindeutige Beschlussfassung des Rates folgen. Wischiwaschi-Formulierungen, wie sie von der CDU und neuerdings auch von den Kolleginnen und Kollegen der SPD aufgestellt werden, sind hierbei nicht hilfreich. Eine Teilöffnung der Grundschulbezirke, wie von Ihnen vorgeschlagen, mit einem klaren Nein zur Auflösung in Wuppertal ist nur ein Beweis dafür, dass Sie zwar wie wir die Landesbildungspolitik als falsch bewerten, aber dann den nötigen Mut vermissen lassen, sich gegen die eigene Partei zu stellen. Dass die Sozialdemokraten hier im Rat so etwas um der gemeinsamen Ratskooperation willen mittragen, wundert mich schon sehr. Es zeigt aber, dass große Koalitionen, oder Kooperationen immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner hervorbringen, da ohne diese Vereinbarung heute wahrscheinlich eine klare Position verabschiedet worden wäre.

Für uns Grüne gibt es, neben anderen, insbesondere drei Argumente, die klar für die Beibehaltung der Grundschulbezirke sprechen:

Erstens der Bereich der Verkehrserziehung, oder griffiger formuliert: Kurze Beine – kurze Wege. Wir wollen, dass dem drohenden Schultourismus Einhalt geboten wird. Es ist wichtig, den Kindern schon frühzeitig Alternativen zum motorisierten Verkehr aufzuzeigen. Auf ihrem Schulweg sollen sie lernen sich im Straßenverkehr zu behaupten. Wie aber soll das gelingen, wenn die fußläufige Erreichbarkeit einer Schule zukünftig bei der Auswahl der Grundschule nicht mehr im Vordergrund stehen wird? Im Übrigen stellt der Faktor „Mobilität“ bei einer so genannten „freien“ Wahl der Grundschulen ein erhebliches Exlusionsmoment dar. Die freie Wahl wird abhängig davon, ob Mama oder Papa die Zeit und die entsprechende Ressource, nämlich mindestens ein Auto zur Verfügung stehen haben. Wer da noch von freier Schulwahl spricht, macht sich und/ oder anderen etwas vor.

Zweitens wollen wir in den Stadtteilen fest verankerte Grundschulen fördern: Stichwort Grundschulen als Stadtteilschulen. Die Kooperation von Schule und Jugendhilfe ist hierbei ein passendes Beispiel. Aber auch das außerunterrichtliche Engagement von Kindern und Eltern wird im Wesentlichen bestimmt von einer Identifikation mit der örtlichen Schule. Und nicht zuletzt sollen Kinder soziale Kontakte mit anderen Mitschülern pflegen können. Auch hier ist eine nahe gelegene Grundschule notwendig, um die Rückkehr der Taxi-Mama oder des Taxi-Papa zu verhindern.

Und als dritten Punkt sehen wir die Grundschulbezirke als wesentliches Instrument zur Planung und Entwicklung der Grundschullandschaft in Wuppertal an. Die demographische Entwicklung macht es notwendig, das Schulangebot auf die sinkende Zahl von Schülerinnen und Schülern anzupassen, ich glaube, da sind wir uns alle einig. Wie aber soll das gelingen, wenn zukünftig die Nachfrage auf dem Bildungsmarkt das Angebot bestimmen soll. Die Schulministerin äußerte sich im Landtag sogar dahingehend, dass die Nachfrage den Schulträgern zukünftig aufzeigen solle, welche Schule erhaltenswert seien und welche nicht. Dabei ist die Auslastung einer Schule nur ein Argument neben vielen in der Grundschulentwicklungsplanung. Wenn aber zukünftig die Nachfrage als alleiniges Kriterium für die weitere Existenz einer Schule bleibt, werden wir keine Möglichkeit mehr haben, Schulstandorte zu stärken, die uns z. B. wegen ihrer geographischen Lage wichtig erscheinen. Dann bestimmt der Wettbewerb die Zukunft unserer Schulen und damit unserer Kinder.
Lassen Sie mich zum Ende noch einmal zusammenfassen: Was von der heutigen Ratssitzung ausgehen sollte, ist ein klares Bekenntnis zur Beibehaltung der Grundschulbezirke. Schulbezirke sind sicherlich kein Allheilmittel zur Lösung aller Probleme im Bildungsbereich. Sie sind aber ein wertvolles Steuerungsinstrument für die Schulträger. Die Mehrzahl der Fraktionen scheinen dies ja auch erkannt zu haben. Wenn Sie aber doch richtigerweise den Wert von Schulbezirken erkannt haben, dann seien sie doch auch konsequent. Lassen Sie nicht zu, dass den Kommunen ein wichtiges Instrument zur Gestaltung der Grundschullandschaft aus der Hand genommen wird.

Vielen Dank